Presse

22.04.2024

Holzbildhauer Helmut Wolf vermisst das Menschliche

Groteske Chimären halten den Gästen in Carola Insingers Galerie in Distelhausen den Spiegel vor

Von Peter Geiger, MZ

Distelhausen. Gleich zu Beginn an diesem Vernissage-Abend, da wünscht man sich, es gäbe noch so ein boulevardeskes Tageszeitungsressort, das mit „Blitzlichtgewitter“ überschrieben ist. Dann könnte man jetzt all die Wichtig- und Nichtigkeiten festhalten, um die hier versammelte Gesellschaft zu porträtieren. Und in teils passioniertem, teils süffisantem Ton nicht nur modische Highlights, sondern auch Untiefen zu fixieren. Protokollieren, wer mit wem rausgefahren ist. Hierher, vor die Tore von Regensburg, nach Distelhausen, zu Carola Insinger, der Galeristin. Wer sich Pils oder Merlot hat schmecken lassen. Doch die Zeiten sind andere. Geflüster werden längst nicht mehr gedruckt, sondern verbreiten sich höchst fluide im Augenblick ihrer Entstehung in Social-Media-Blasen.

Vielleicht treiben Helmut Wolf, den Holzbildhauer aus dem Stadtwesten, ja ganz ähnliche Fragestellungen an, für seine außerordentliche Porträtkunst? Denn der 1959 in Nittenau geborene Künstler, er stellt hier in der mit den drei Adjektiven „tierisch, pelzig, menschlich“ überschriebenen Ausstellung buntbemalte, geschnitzte Skulpturen von Mann und Frau aus. Um uns den Spiegel vorzuhalten. Und um festzustellen, dass er verriegelt ist, der Weg zurück ins Paradies. Die meisten seiner Figuren tragen Tierköpfe. So gelingt es ihm im Handumdrehen, etwaige Distanzen abzubauen – und uns, den Betrachtern, sogleich ein Lachen abzuringen. Denn die so entstandenen Mischwesen wirken auf den ersten Blick komisch und grotesk, wenn sie uns als adidas-Schuhe tragende Männer im Anzug gegenüber treten, mit ihrem Hunde- oder Wolfsschädel. Alle Macht, die sie zu verkörpern scheinen, wird so der Lächerlichkeit preisgegeben. Dr. Carolin-Sophie Ebeling von den Museen der Stadt Regensburg, setzt sich in ihrer Einführung kunstgeschichtlich profund mit diesen „Chimären“ auseinander und zieht die Linie von den Höhlenmalereien zu Sagen und Märchen.

Dass es Helmut Wolf um viel mehr geht, als um vordergründige Komik, wird erkennbar, wenn man die Skulpturen detaillierter betrachtet. Da gibt er einem Mini-Minotaurus ein langes, blitzendes Messer in die Hand. Dass der es auch zu gebrauchen weiß, sieht m an nicht nur daran, dass Blut he- runtertropft, vom blitzenden Schaft. Auch seine Garderobe ist eingenässt, blutrot das weiße Hemd. Und sein Gesicht? Von Reue keine Spur. Stattdessen, und jetzt wird’s richtig abgründig, die Unterlippen – die sind tiefrot! Nicht mal Helmut Wolf selbst käme auf die Idee, dass es sich dabei um Lippenstift handeln könnte. „Nein, nein!“, sagt er und schüttelt seinen Kopf. Indem er also das Menschliche vermisst, zeigt er uns unter Anwendung dieser pelzig-tierischen Maskerade, zu welchen Schrecklichkeiten diese Spezies in der Lage ist. Und erzählt uns ganz nebenbei, wie sehr er den Frieden vermisst in unserer Gegenwart. Unterhält man sich mit dem Künstler, nähert er sich seiner Arbeit eher tastend. So, als würde er uns von Träum en der letzten Nächte erzählen. So, als bekäme er diese inneren Bilder erst richtig zu fassen, wenn er ihnen Ausdruck verleiht.

Als Holzbildhauer freilich ist er weniger auf Worte angewiesen, sondern auf den virtuosen Umgang mit seinem Werkzeug. Damit er seinem Werkstoff Form und Kontur verleihen kann. Dass es ihm aber nicht nur um die Schattenseiten der menschlichen Existenz geht, sondern auch um deren Ursprung, das zeigt die höchst vergnügliche Peep-Show, die gleich im Eingangsbereich steht. Das darin zu sehende, ineinander verkeilt kreisende Pärchen, es ist nicht nur ideale Abrundung dieses vielgestaltigen Figurenkabinetts, es weckt auch Hoffnung. Auf den Neuanfang des Menschengeschlechts.

Quelle: Mittelbayerische Zeitung , Artikel und Fotos

Artikel u. Foto: Peter Geiger

Artikel u. Foto: Peter Geiger

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