Presse
22.04.2024
Latent bedrohlich: Lindqvists Traumwelt
Carola Insinger zeigt eigenwillige Holzschnitt-Stoffbilder und Stofftiere des Künstlers
Von Michael Scheiner, MZ
Distelhausen. Ist es Zufall oder Fügung? Steckt gar ein geheimer Plan dahinter, dass Fredrik Lindqvist nach dem Kunststudium, das ihn von Umeå über Düsseldorf nach München geführt hatte, ausgerechnet in Ingolstadt gelandet ist? Schaut man sich seine farbintensiven Arbeiten im Detail an, könnte man auf die Idee einer Bestimmung verfallen. Aktuell stellt der Künstler in der Galerie von Carola Insinger in Distelhausen (Landkreis Regensburg) aus.
Grobe Nähte ziehen sich fast durch jede Arbeit, tackern wie bei Mary Shelleys „Frankenstein“ Stiche durchs Gesicht, über die Haut und zwischen die zusammengenähten Gliedmaßen. Auch an alte Stoffpuppen oder Bären könnte man denken, sind doch einige der Objekte Lindqvists nahe an diesen Kinderlieblingen. Tatsächlich lassen sich die künstlerisch wie handwerklich spannenden Arbeiten des Deutsch-Schweden zwischen diesen Polen einordnen. Einem teils offen zutage tretenden Gruselfaktor mit versteckten Horrorelementen stehen märchenhafte Verspieltheit und heitere Leichtigkeit gegenüber.
Verletzlich und verstörend
Gebrochen wird die Unbeschwertheit in alltäglichen Szenerien immer wieder durch ein aufkeimendes Gefühl des Unheimlichen, das sich allerdings nur manchmal an einem Motiv oder Ausdruck festmachen lässt. Meist verharrt das Unbehagen im Diffusen. Es durchzieht als latente Verunsicherung, für manchen Betrachter vielleicht sogar als etwas Bedrohliches – die Ausstellung „The Storyteller“. Und Stories, Geschichten sind es allemal, die Lindqvist mit einer sehr eigenwilligen, selbst entwickelten Technik aus Stoff, Holzschnitten und Garn und Faden fabriziert. Für große, wandfüllende Bilder, wie im Eingangsbereich zur Galerie, fertigt der Künstler viele Holzschnitte in gleicher Größe. Damit druckt er auf teils bereits vorbedruckte oder gemusterte Stoffe in unterschiedlichen Farben. Anschließend näht er die Stoffpaneele, ähnlich einem Quilt, mit groben Stichen zusammen. Die Expressivität des Holzschnitts wird dadurch noch gesteigert. Zugleich erhalten die Arbeiten etwas extrem Verletzliches, ein Wundsein, das durchaus widersprüchliche Reaktionen hervorrufen kann.
Deutlich wird das in einigen Objekten, die der Storyteller aus verschiedenen Stoffteilen zusammengeschustert hat. Eine riesige zusammengerollte Schlange wirkt noch harmlos in ihrem ruhenden Stattsein. Bei dem am Fuß einer Säule lehnenden, schreienden Puppenkind dagegen weiß man nicht, ob man helfen und trösten oder besser gleich wegrennen soll. Den Motiven der Stoffbilder liegen Alltagsbeobachtungen und fantastische Fabeleien zugrunde, die Lindqvist seinen Kindern abends beim Zubettgehen erzählt hat.
Baumhaus und Bäuerin
„Ich komme ja aus dem Land von Astrid Lindgren“, gibt der 55-Jährige verschmitzt preis. Daher tauchen Baumhäuser und hoch in der Luft schaukelnde Mädchen auf, beschädigte Troubadoure mit E-Bass und Landsknechte, die wie in einem falschen Film wirken. Bäurisch gekleidete Frauen führen zwischen herumstehenden Schuhen ihren Hund aus oder sind haarmäßig kaum von ihren tierischen Lieblingen unterscheidbar. Lindqvists Reservoir an Figuren ist vielfältig und eindeutig meist in unserer Zeit verortet. Die tieferliegenden Gefühlswelten jonglieren mit alten Mythen und archaischen Ritualen, wie bei der freizeitmäßig gekleideten Trommelgruppe, die auch zum Hexensabbat aufspielen könnte. Kunst- und kulturgeschichtliche Anspielungen und Zitate verweisen unter anderem auf van Gogh, Impressionismus und Surrealismus, auf die Pop-Art und Edward Hopper.
Mit Stoffen, Nähten und auch von der Art, das Personal in den Bilder zu gestalten, nutzt Lindqvist Materialien und Techniken, die noch immer meist weiblich konnotiert sind. Das lädt die künstlerisch wohl einzigartigen, faszinierenden Werke zusätzlich mit einer irritierenden Spannung auf, die erklärte Antifeministen zu heftigen Aggressionen verleiten könnte. Alle anderen können sich an Lindqvists bunter Traumwelt kaum satt sehen.
Quelle: Mittelbayerische Zeitung , Artikel und Fotos
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