Presse

18.09.2018

Bei Insinger: Der Krieg der Geschlechter

Jürgen Schönleber verweigert sich dem schönen Schein. In Distelhausen bei Pielenhofen zeigt er rohe Malerei.

Von Helmut Hein, MZ

Pielenhofen. Als die Musik einsetzt, die von einer düsteren „Hey Joe“-Variante zu Leonard Cohens großem Versprechen „I’m Your Man“ führt, steht sie im Vorraum der Galerie Insinger unter einem rohen Gerüst, an dem Haken befestigt sind. Sie trägt ein blutrotes, tiefausgeschnittenes Kleid und High Heels in der gleichen Farbe. Hinter ihr steht ein junger Mann in einem legeren Judo-Anzug. Die zahlreichen Zuschauer geben sich cool, aber bei vielen spürt man eine deutliche Spannung. Jetzt beginnt der Mann in staunenswerter Virtuosität die Frau zu fesseln, zuerst die Hände auf den Rücken, dann den Körper,schließlich die Beine. Am Ende hängt sie schräg-gespreizt frei schwebend in der Luft.

Eine uralte Kunstform
Hilflos? Nein, sie tanzte ja am Anfang leicht zur Musik, suchte immer wieder flüchtige Zärtlichkeiten. Und doch ist eine gefesselte Frau heute anscheinend ein Tabubruch, anstößig. Auch wenn diese Performance nicht die Radikalität besitzt, wie sie der berühmte Fotograf Araki auf seinen Bildern dokumentiert. Da sind die Frauen nackt und ausgesetzt, in einer Inszenierung zwischen Liebe und Tod; vom „heiligen Eros“ sprach Georges Bataillein diesem Zusammenhang. „Shibari Sensual Rope“ nennt sich das Bondage-Genre, zu dem diese Performance gehört, Es hat hierzulande längst zahlreiche Anhänger, wenn auch eher in privaten oder verschlossenen Räumen. In Japan ist Bondage eine uralte Kunstform, in der sich Sexus und Transzendenz nahekommen.

Er zeigt lieber das Deformierte
Zu Jürgen Schönlebers „Gender Trouble“-Ausstellung passt diese Performance bestens. Denn seine thematisch geordneten Ölbilder und Papierarbeiten aus mehr als einem Jahrzehnt stehen in der Tradition des „Geschlechterkriegs“, wie er unnachahmlich von Strindberg und Nietzsche am Beginn des Fin de siècle formuliert wurde. Die Intensität der Beziehungen verdankt sich starken Gefühlen jenseits aller Konventionen. Schönleber zitiert in diesem Zusammenhang Foucault: „Die Politik ist die Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln.“ Die große Politik – aber natürlich auch die kleine und kleinste in den privaten und intimen Räumen, zwischen den Körpern und Seelen, die sich zu nahe kommen. Der alte Clausewitz mit seiner inversen Formulierung klingt da fast harmlos.

Schönlebers Malerei ist wild, hält sich aber von den Praktiken der Gruppen Cobra oder Spur, die in Ostbayern über Jahrzehnte bestimmend waren, eher fern. Seine Vorbildersucht er eher in der „art brut“ und in der Kunst der „Geisteskranken“, wie man das einst nannte. Da findet man rohe Körper – oft im Zustand der Auflösung. Schönleberhält der Figur die Treue, aber er verweigert sich dem schönen Schein, zeigt lieber das Deformierte, Zerstörte hinter der glatten Oberfläche. Wobei er im Malprozess meist mit wüsten Farbflächen beginnt, in die sich erst gegen Ende die Figur eingräbt. Und zwar oft nur als Rest wie bei Beckett oder als Partial-Objekt, wie Freud das nannte.

Die andere Seite von Schönheit
Und woher rührt der „Gender Trouble“, diese ewige Unruhe zwischen den Geschlechtern, der er, oft nur verwischt und skizzenhaft, dann wieder skulptural-grob eine Sprachegibt? Aus einem Ungenügen, das formlos bleibt, aber alle möglichen Formen aus sich hervortreibt. Nietzsche hat programmatisch vorformuliert, was uns Schönleber bild- und doch rätselhaft zeigt: wie zerrissen die Subjekte sind, dass der Streit nicht erst zwischen ihnen, sondern schon in ihnen beginnt. Und was nicht zum Leben und zu seiner Gestalt kommt, das kehrt zerfließend und monströs wieder.

Äußerst eindrucksvolle Malerei: der Ekel, auch er bekanntlich ein starkes Gefühl, ist nur die andere Seite einer Schönheit, die beschmutzt wurde; und als beschmutzte wirksamer, auch berührender ist als eine Reinheit, die demgegenüber als körperloses,ja fast schon gespenstisches Fantasma erscheint. So wie in der Erotik die Freiheit manchmal der Fesselung bedarf, um sich entfalten zu können. In der Galerie Insinger konnte man die Facetten einer beunruhigenden Sehnsucht studieren.

Quelle: Mittelbayerische Zeitung , Artikel und Fotos

Jürgen Schönleber stellt seine Werke, die oft rohe Körper zeigen, in der Galerie Insinger aus. Foto: Jürgen Schönleber

Jürgen Schönleber stellt seine Werke, die oft rohe Körper zeigen, in der Galerie Insinger aus. Foto: Jürgen Schönleber

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